14.03.03
(Originaltext meines Tagebuchs. Erklärungen und Aktualisierungen habe ich in blau eingefügt.)
Was für ein Tag... / 21.20 Uhr gerade vom verspäteten Abendessen zurück. Jetzt muss ich versuchen, das zu rekonstruieren, hier zu schreiben; und danach die Abrechnungen - und dabei habe ich die vom Vormittag noch nicht vollständig eingegeben...
Es fing gut an; pünktlich aufgewacht; ausgeschlafen, fast schmerzfrei. Auf dem Weg zum Frühstück fragte ich mich, ob mir wirklich vom schiefen Gehen der letzten Tage die linke Wade weh tut; oder ob mein Ischias mir jetzt statt einer schmerzenden Hüfte eine Wade mit Muskelkater vorspielt.
Mit Arjun zum Arzt, weil er gestern Abend so starke Bauchschmerzen hatte, dass er weinte und erst nach einer Paracetamol schlafen konnte. Geld geholt, dann auf die Bank und 10.000 Rs. in Hunderter gewechselt, weil zur Zeit überall das Kleingeld knapp ist. Ich hatte schlecht geplant und etwas vergessen; also am Hausarzt vorbei wieder nach Süden, Schreibwaren gekauft, ans Internet, aber das tat nicht. Für Muses Mutter Dollar gewechselt, die sie mir gestern gab, dann noch bis zum Kumari-Palast gegangen, um ihr das zu geben, aber sie war nicht da.
In die New Road und in mehreren Geschäften nach Preisen für einen größeren Memorystick für die neue Kamera gefragt - und als mir einer einen wesentlich besseren Preis nannte, als den, den ich bisher überall hörte, und sich dann auch noch runterhandeln ließ (da hilft eben doch der Aberglaube vom "morning business": Dass der erste Kunde des Tages den Laden nicht verlassen sollte, ohne etwas gekauft zu haben) - da griff ich zu und kaufte mir die 64 MB. (Während die Kamera in der besten Qualität bisher nur 9 Fotos speichern konnte und dann am Computer entleert werden musste, kann ich jetzt bis zu 37 Bilder speichern, was mir in der Stadt für einige Tage reicht.)
Dann vergeblich in ein anderes Computerbüro; nur einen Ausdruck konnte ich machen, aber das Internet war nicht zugänglich.
Weiter ins Krankenhaus (wenn ich nicht noch was vergessen habe); ich war seit Dienstag nicht mehr bei der Frau gewesen und hatte schon seit Tagen ein paar wichtige Sachen mit Dr. Joshi zu besprechen:
1) Genauere Infos über eine Maschine, die er gerne hätte und die Dr. Pauli ihm evtl. besorgen kann.
2) Die Halskrause bezahlen, die die Mutter inzwischen erhalten hatte.
3) Meine Sorge, ob die Mutter wohl rechtzeitig entlassen werde, bevor ich heimfliege, oder ob ich mich noch um eine andere Unterkunft für ihre beiden Kinder bemühen muss, erledigte er sofort, als er ungefragt sagte, dass die eigentlich auch heute gehen könne, und ich bat ihn, sie noch 3-4 Tage hierbleiben zu lassen.

Der heute operierte Junge.

4) Und dann fragte ich ihn endlich (was ich seit Tagen vorgehabt hatte) nach dem zehnjährigen Jungen, der eigentlich zusammen mit Saugat vor einer Woche hatte operiert werden sollen - und dessen Onkel und einziger Begleiter einen Tag vorher "um Geld zu holen" verschwunden und bis heute nicht wiedergekommen war: Den hätten sie heute wieder auf die Liste der zu Operierenden gesetzt in der Hoffnung, dass seine Familie komme und die Materialien kaufe ... Nächste Frage: Ob der Junge das wusste; und ob er tatsächlich ganz alleine und eigentlich ohne eine Chance, operiert zu werden, seit gestern Abend nüchtern geblieben sei. Nächste Frage: Wo er sich rumtreibt; in seinem Zimmer war er nicht und ich hatte ihn schon oft irgendwo im Krankenhausgelände getroffen.
Als ich ihn gefunden hatte und er glaubhaft versicherte, dass er nicht einmal einen Tropfen Wasser getrunken habe, sagte ich den Ärzten Bescheid; einer schrieb die Liste, dann gingen wir einkaufen. Es war viel weniger als für Saugat und ich gab nur knapp 3000 Rs. aus.
Die ganze Zeit schlich ein Junge um uns herum - bis er sich endlich traute und mir sein Ticket zeigte und mich bat, ihm die Medikamente zu kaufen; er habe kein Geld. Wegen seiner recht guten Kleidung war ich zunächst skeptisch; die in Fetzen hängenden Schuhe ließen mich dann doch noch einmal nachfragen. Ich zeigte das Ticket den Apothekern, da ich die Klaue des Arztes nicht lesen konnte: Bettnässer seit 2-3 Jahren; und er braucht nicht nur diese Tabletten (174,- für einen Monat), sondern vor allem Urin- und Bluttest und eine Röntgenaufnahme. Aber es war mal wieder nach 12 Uhr und mir schon viel zu spät; so kaufte ich ihm nur die Tabletten und nahm ihn mit bis zu unserem Restaurant, um ihm zu zeigen, wohin er übermorgen kommen soll, damit ich ihn untersuchen lasse. (Vorher war ich noch in der Deutschen Apotheke, um sie über den zu operierenden Jungen zu unterrichten, hatte Krishna Gopal vergeblich zu treffen versucht und hatte den Jungen mit einem ganzen Karton voll Medikamente zurück auf die Station gebracht.) Punkt 13 Uhr kam ich im Hotel an; Sir (der von mir angestellte Lehrer, der gestern nicht gekommen war) und nur wenige Kinder auf der Dachterrasse. (Gestern war ein Verwandter gestorben und er hatte den ganzen Tag damit zu tun gehabt; - ich sagte ihm aber ganz klar, dass anrufen nicht verkehrt gewesen wäre.)
Schock, als Namraj mit den gestrigen Essensgutscheinen zurückkam: 81 Mittagessen; das hatten wir noch nie auch nur annähernd erreicht. (Von zwei anderen Straßenkinderzentren und vom Annapurna-Hotel kamen erst 2-3 und dann immer mehr Kinder und ich weiß noch nicht, ob ich das durchhalten kann.)
Mit den ersten Kindern kam Kusum, eine Schülerin, die fast jeden Nachmittag kommt, die sich ihre Schule durch Hausarbeit früh morgens selbst finanziert (und auf deren nächstes Zeugnis ich warte, um eventuell für sie zu zahlen). Sie bat mich nach draußen aufs Dach; sie müsse alleine mit mir sprechen: 13 Jahre und 2½ Monate alt habe sie seit gestern Abend zum ersten Mal ihre Periode; im Moment benutze sie alte Tücher; und ob ich ihr bitte Binden kaufen könne. (Das "freute mich"; denn ich werte es als Vertrauensbeweis, dass ein Mädchen auch mit dieser Frage zu mir kommt.)
Nach 14 Uhr schickte ich Namraj und unseren Taubstummen ins Krankenhaus, um nach dem zu Operierenden zu schauen und evtl. nötige weitere Medikamente für ihn zu kaufen.
Den ganzen Nachmittag ging es rund; aber keine besonderen Vorkommnisse; und irgendwie schaffte ich es sogar, dazwischen meinen Kalender aufzuräumen, alle Abrechnungen auf den neuen Wechselkurs umzustellen und eine lange Mail mit Fotos an CWIN zu schreiben, die den operierten Jungen übernehmen und ins Heimatdorf bringen sollen, wenn ich abreise bzw. wenn er gesund ist. Dazwischen schrieb ich noch einen Brief an die Schule von Uma, Shankar und Bhola, deren Buchhalter das Bezahlen des letzten Zwischenzeugnisses nicht richtig gebucht hatte und nun die Quittungen sehen wollte - die zu Hause in meiner Ablage liegen. Und dann kamen zwei der älteren neueren Jungs von der Hanuman Dhoka; der eine mit einem klaffenden Hundebiss in der Wade, der genäht werden musste. Da Kedar gleich ins Bir Hospital gehen würde, um nach dem Operierten und den zwei Jungs zu sehen, war es einfach: Ich ließ ihn das Bein gut waschen, desinfizierte es und verband es provisorisch. Dann könnte Kedar ihn mit in die Notaufnahme nehmen. Glücklicherweise fiel mir rechtzeitig ein, dass die dort keine Hundbisse behandeln, sondern diese wegen der Tollwutgefahr ins Teku Hospital schicken. Also wieder einen Brief, in dem ich den Ärzten erklärte, dass es sich um einen im Haus gehaltenen Hund handelt, den wir im Auge behalten; dass sie doch bitte ausnahmsweise einfach die Wunde nähen und eine Tetanusspritze geben sollen.
17 Uhr, und ich war fast fertig zum Gehen, kam Dipus Mutter: Dipu hatte nicht richtig ausgerichtet, was ich ihm morgens sagte; und Raju, der um 18 Uhr sie zum Kinderarzt bringen sollte, um mich dort zu treffen, war den ganzen Tag nicht nach Hause gekommen.
Wir gingen zusammen (mit einigen Kindern im Schlepp) in die New Road, zunächst ans Internet. Dann zum Kinderarzt. Obwohl ich ihren Namen hatte auf die Liste setzen lassen, mussten wir eine Weile warten; aber der Türsteher half, dass es nicht all zu lange dauerte, nachdem ich ihm erzählt hatte, was mich im Krankenhaus noch erwarte. Der Arzt erinnerte sich, dass ich früher mit den drei Brüdern bei ihm war, und nahm sich nun für die kleine Schwester viel Zeit. Diagnose unschlüssig; stark untergewichtig; und von dem Unfall vor einem Jahr sah er auf der Computertomographie deutliche Spuren. Evtl. Epilepsie; und was sonst noch ist ... ??? Wir sollen mit einem neuen CT und einem EEG wiederkommen und für heute verschrieb er nur einen appetitanregenden Sirup.
Im Eilschritt ins Bir Hospital; die zwei nachmittags geschickten Jugendlichen und der später dazu gekommene Kedar saßen vor der Zimmertür; der Kleine sei erst spät operiert worden, nicht all zu lange drin geblieben, sei erst nach 17 Uhr rausgekommen, erst halb bei Bewusstsein und schlafe jetzt.


Der frisch Operierte zwischen Narkose und Halbschlaf.

Als ich ihn streichelte, wachte er auf, fing sofort wieder davon an, ob ich ihn auch ganz sicher, wenn er gesund sei, zurück in sein Dorf bringen werde. Ich versprach alles, beruhigte ihn, erklärte ihm, dass er jetzt nicht viel denken und reden, sondern ausruhen solle. (Der Kleine ist, seit ich ihn kenne, ein solch geduldiger Muster-Patient; allein dass er seit gestern Abend bis zu meinem Kommen gegen 11 Uhr nüchtern geblieben war, ist überraschend...)
Nun war ich recht ratlos, wie es weitergehen sollte: Das alles 3-4 Stunden früher, hätte es einfacher gemacht. Ihn jetzt, noch halb-besoffen und völlig nüchtern alleine zu lassen, war unmöglich. Kedar wollte nicht übernachten; schließlich beginnen am Dienstag die Prüfungen und er muss noch viel lernen. Namraj wollte auch nicht. (Verständlich, da er ja schon seit 15 Uhr hier war.) Ich suchte die Schwester; die war voll Verständnis; etwas sauer auf die Ärzte, die niemanden operieren sollten, der keine Betreuung habe; sie hätten Personalmangel und sie sei für die ganze Nacht alleine; füttern und zur Toilette helfen könne sie ihm auf keinen Fall und es müsse schon jemand kommen oder dableiben.
Ich gab ihr einen Wink, sie ging alleine raus, schnappte sich Namraj - und es dauerte gar nicht lange, da hatte sie ihn überzeugt oder umgestimmt.
Nun mussten wir uns beeilen: 19.30 Uhr; Kedar würde bleiben, bis Namraj gegessen hat und wiederkommt; dann müsste auch Kedar noch ein Abendessen bekommen. Ich erklärte Namraj am Bett das Wichtigste; dann mit Namraj und weiteren vier Kindern runter, ihn der Apotheke vorgestellt und gezeigt, wo er die Leute auch nachts erreicht. Dauerlauf ins Restaurant; 20 Kinder hatten schon gegessen; Abrechnen mit Namraj; Abendessen für fünf. Inzwischen fing die Chefin schon wieder an zu kochen, der Reis reichte nicht. Namraj Geld mitgegeben, um für den Jungen "nicht-Medikamente" zu kaufen. (In der Apotheke lassen wir anschreiben; aber er braucht ja auch Jogurt, Kekse, Obst o.a.) Und dann überraschte ich ihn mit 50 Rupien - als "Gehalt" für die Nacht, das er sparen kann oder sich zwischendurch Snacks kaufen soll.
Namraj ging; rannte; erstaunlich schnell kam Kedar an, den er abgelöst hatte - und bald darauf wieder Namraj: Er sei rausgegangen zum Einkaufen und nun ließen sie ihn ohne "Betreuerausweis" nicht wieder rein. Also schrieb ich wieder einen Brief (der dritte heute) mit dem er hoffentlich diesen Ausweis bekommt; wenn nicht, soll er die Leute von der Apotheke um Hilfe bitten.
Inzwischen war der Reis längst gar, Kedar hatte zu essen begonnen, während ich noch den Brief schrieb. Dann aß auch ich. Und Kedar ging auf dem Weg nach Hause noch einmal am Krankenhaus vorbei und schaute, ob Namraj diesen Ausweis bekommen hatte.
21.20 Uhr endlich ins Hotel. Die Kinder an den Computer; ich musste erst einmal dies hier schreiben, um diesen Tag verarbeiten und abschließen zu können. Zwischendurch gab's wieder viel Geschrei; Neckereien; zweimal Kopfnüsse. Es war fast 23 Uhr bis alle im Bett waren und ich endlich mit den Abrechnungen begann.
Bis ich Intenet-Seiten gelesen und Mails beantwortet hatte, war es kurz nach 2 Uhr, als ich ins Bett ging.

 


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