Kadek 1999.
So lernte ich Kadek 1999 kennen.

Kadek Mardika

der verkrüppelt geboren wurde und bis zu seinem 9. Lebensjahr noch keinen Arzt gesehen hatte.


1998

An einem meiner letzten Tage in Indonesien fuhr ich vom Besuch bei Freunden ganz im Nordosten der Insel zurück nach Candi Dasa. Es war später Nachmittag und ich hatte es eilig. - Und ich sah im schnellen Vorbeifahren aus dem Augenwinkel am Straßenrand einen Jungen mit seltsam krummen Beinen.
Als ich im Hotel angekommen war, machte ich mir eine Notiz in den Computer: Dass ich nächstes Jahr vielleicht mal nach dem schauen könnte...



1999

Zu Beginn meines Indonesienaufenthaltes fuhr ich in die Gegend, wo ich diesen Jungen gesehen zu haben glaubte. - Es hätte ja auch sein können, dass er von ganz wo anders stammt und nur einmal hier zu Besuch war ... ? Aber gleich am ersten Haus, an dem ich fragte, kannte man ihn und konnte mir sagen, wo er wohnt. Er selbst war zunächst sehr scheu und ängstlich; aber sein Vater (von dem ich später erfuhr, dass er zwar armer Bauer ist, aber doch eine gute Schulbildung hinter sich hatte), war sehr aufgeschlossen und interessiert.
Nun sah ich also den Jungen erstmals aus der Nähe und erfuhr, dass er nicht nur ein krummes Bein hatte, sondern mit Behinderungen am ganzen Körper geboren wurde - und in seinem bis dahin neunjährigen Leben noch nie bei einem Arzt war.
Glücklicherweise hat er Behinderungen nur an Händen und Füßen; der Körper ist gesund und kräftig, und der Junge ist hoch-intelligent.

Kadek mit Vater und Bruder vor ihrem Haus.
Kadek zu Hause mit Vater und Bruder.

Ich machte viele Fotos, auch Detailaufnahmen, die ich Euch, zusammen mit den entsprechenden Röntgenaufnahmen und genaueren Berichten, auf einer eigenen Seite zusammengestellt habe.

Da sie über 100 km von der Stadt und den Ärzten entfernt wohnen, hatte ich einiges zu planen. Denn Untersuchungen und Nachbehandlung will ich mit dem Jungen machen können, ohne für die Eltern wochenlang Hotelzimmer bezahlen zu müssen. (Nur zu den Operationen zahle ich dem Vater die Fahrt in die Stadt, wo er bei seinem Sohn im Krankenhaus schlafen kann.) So begann ich, den Jungen und seinen zwei Jahre älteren Bruder, der als Spielkamerad und Helfer mitfahren sollte, langsam an mich zu gewöhnen. Mehrmals besuchte ich sie, bevor ich sie zu einem ersten Ausflug mit nach Candi Dasa nahm. Während Kadek anfangs noch weinte, weil er mitfahren "musste", war sein Bruder Wayan sofort begeistert von der Idee, ein Wochenende am Strand zu verbringen. Doch auch Kadek gewöhnte sich schnell. Und später im Jahr konnte ich ihn zu planenden Voruntersuchungen und vielen Röntgenaufnahmen mit nach Denpasar nehmen.



2000

Am Anfang meines Aufenthaltes in Indonesien hatte ich Kadek besucht und ihn für ein Wochenende eingeladen - damit wir uns wieder aneinander gewöhnen.
Dann fuhr ich zunächst nach Lombok - wo ich viel länger blieb als geplant: Die Versetzungszeugnisse und die Ferien gab es später als im Vorjahr - und bevor ich nicht alle Schüler/innen für das neue Schuljahr angemeldet und mit allem Nötigen versorgt hatte, konnte ich dort nicht abfahren.

Die rechte Hand.
Die Hand vor der Operation.

Endlich fuhr ich nach Bali und holte Kadek und seinen Bruder ab. Es war schon spät im Jahr - aber noch nicht zu spät, da wir für dieses Jahr eine der kleineren und einfacheren Operationen geplant hatten. Es war Kadeks eigener Wunsch: Das Trennen der zusammengewachsenen Finger der rechten Hand sei ihm das Wichtigste. Diese Operation (nur Haut und Fleisch; keine Veränderungen an den Knochen; kein Gips) sollte wohl nicht zu schwierig sein und recht schnell abheilen.

Die Voruntersuchungen in Denpasar machte ich alleine mit den Kindern; doch am Tag vor der Aufnahme ins Krankenhaus kam wie verabredet auch der Vater zu uns in die Stadt. So musste ich nicht im Krankenhaus wohnen, blieb im Hotel. Der Vater wohnte beim Patienten und ich verbrachte nur die Tage im Krankenhaus.

Unmittelbar nach der Operation.
Kurz nach der Operation - noch nicht ganz bei Bewusstsein.

Zwei Stunden war Kadek im OP; der Orthopäde arbeitete sehr fein, fast wie ein plastischer Chirurg, setzte Dutzende haarfeiner Nähte.
Zwei Tage nach der Operation wurde steril im OP der Verband gewechselt; der Arzt war zufrieden und wir durften "nach Hause": Der Vater fuhr zurück in sein Dorf und die Kinder zogen wieder zu mir ins Hotel.

Kadek in der Tür ihres Hauses.
Als ich ihn das letzte Mal besuchte.

Sechs Tage später gingen wir zur ersten Nachuntersuchung - und hatten im Stillen gehofft, dass (8 Tage nach der Operation) schon die Nähte gezogen würden und wir am nächsten Tag abfahren könnten. Aber die Hand heilte langsamer als erwartet. Es wurden nur einige Nähte gezogen - und bis auch die letzten entfernt werden konnten, mussten wir noch eine ganze Woche warten. - Und mir blieben nur noch zwei Wochen bis zu meinem Rückflug nach Deutschland.
Ich kaufte in der Stadt das teure Verbandmaterial, mit dem die örtliche Gesundheitsstation in der Nähe seines Dorfes die weitere Versorgung machen kann. Dann brachte ich ihn nach Hause.
Als ich acht Tage später aus Lombok zurückkam, besuchte ich ihn ein letztes Mal: Die Hand war noch nicht ganz abgeheilt, aber die Wunden waren sauber und trocken und offensichtlich gut versorgt.

Die Hand im Mai 2001.
Die Hand im Mai 2001.

Als ich ihn Ende April 2001 wiedersah, war die Hand schön geheilt und er war glücklich, dass er alle Finger einzeln bewegen und sie gut benutzen kann.



2001

Das Jahr begann ähnlich wie das Vorige: Treffen, einladen. Inzwischen sind Kadek und seine Familie so an mich gewöhnt und so vertraut, dass ich wie ein altes Familienmitglied begrüßt wurde.
Dann fuhr ich nach Lombok.

Auch dieses Jahr blieb ich fast zu lange auf Lombok. Denn Amirs Sohn sollte beschnitten werden, und das "musste" an einem bestimmten islamischen Feiertag geschehen. Ich wollte das Fest nicht verpassen; erst danach fuhr ich zurück nach Bali.

Die Füsse vor den Operationen.
Die Beine 1999; vor der ersten Operation.

Ich holte Kadek ab. - Wayan hatte die 6. Klasse abgeschlossen und hatte mit dem Wechsel zur Mittelschule fast keine Ferien und so viel zu tun, dass er nicht mitfahren konnte.

Der Arzthelfer hatte mir schon am Telefon gesagt, dass Dr. Siki völlig überlastet und für mehr als einen Monat ausgebucht sei. (Er ist der beste Orthopäde im weiten Umkreis; bis aus Sulawesi werden Patienten zu ihm geflogen!) Doch als ich dann den Arzt selber traf und vorsichtig andeutete, dass ich schon gehört habe, dass meine Terminplanung dieses Jahr wohl "platzen" werde - gab er uns einen Operationstermin für übermorgen; Samstag Vormittag (!)

Der Fuss im Gips kurz nach der Operation.
Der eingegipste Fuss kurz nach der Operation.

In einer mehrstündigen Operation wurde der rechte Fuß, der bisher um 180 Grad nach hinten gedreht war, nach vorne gewendet. Der dicke Schwiel auf der Oberseite (auf der Kadek seit zehn Jahren gelaufen war) wurde entfernt; die Knochen im Innern "umgebaut"; die Achillessehne verlängert.
Nun zeigt der Fuß nach vorne, ist aber immer noch etwa 40 Grad geneigt. (Als wenn er auf den Zehenspitzen gehen wollte.) Der Arzt erklärte mir, dass mehr nicht möglich gewesen sei: Wenn er an den Knochen im Innern noch mehr verändert hätte, würde der Fuss später nicht mehr mit-wachsen. Frühestens im Alter von etwa 14 Jahren dürfe er noch einmal operiert werden. Dann sei die Achillessehne stark genug für eine weitere Verlängerung und der Fuß könne weiter korrigiert werden, so dass er flach auf der Sohle steht.

Vor dem Haus seiner Verwanden in Denpasar.
Vor dem Haus seiner Verwandten,
bei denen er zwei Monate lebte.

Mehr Fotos 2001 !

Nach wenigen Tagen wurde Kadek mit eingegipstem Fuß aus dem Krankenhaus entlassen. Ich hatte schon letztes Jahr geklärt, dass er für einige Wochen bei Verwandten in Denpasar wohnen könne, bei denen ich viel Geld hinterlegte, so dass sie wöchentlich mit ihm zum Arzt fahren. (Anders hätte ich es kaum organisieren können; denn ich hätte keine Lust - und auf Lombok zu viele Verpflichtungen - gehabt, um den ganzen Sommer auf Bali zu bleiben.)
Er blieb also bei den Verwandten; der Vater fuhr am nächsten Tag nach Hause; und ich wenig später zurück nach Lombok.

Der Fuss nach der Operation.
Links die Narbe von der Verlängerung der Achillessehne. Oben die
Narbe von der Entfernung des Schwiels und dem "Umbau" der Knochen.

Mit etwa sechs Wochen hatten wir gerechnet. Doch dann verschob der Arzt den Termin immer wieder. Ich rief von Lombok aus immer wieder an, war immer bereit, am nächsten Tag abzufahren. Doch erst Anfang August (gut acht Wochen nach der Operation) wurde ihm der Gips endgültig abgenommen. (Zwischendurch hatte er zum Ziehen der Nähte bereits einmal einen neuen Gips bekommen.)

Mit Spezialschuh und Halb-Prothese vor der Tür zum Haus seiner Eltern.
So brachte ich ihn kurz vor meinem
Heimflug zurück zu seinen Eltern.

Nun wurde es etwas eng: In zwei Wochen würde ich zurück nach Deutschland fliegen. Den ursprünglichen Plan, am Ende noch einmal nach Lombok zurückzukehren, hatte ich längst aufgegeben, hatte alles abgeschlossen und so vorbereitet, dass die Kinder die nächsten acht Monate ohne mich auskommen würden.
Auf Bali begannen wir nach einem letzten Kontrollbesuch beim Orthopäden mit dem Anfertigen eines Spezialschuhs für den operierten Fuß - und einer "Halb-Prothese" für das linke Bein.

Probleme:
A) Früher konnte er gehen, rennen, sogar Fußballspielen (auf Sand und Gras; denn auf hartem Untergrund war er schnell wundgelaufen). - Aber wenn er dies jahrelang tut, wird er sich die Hüfte kaputtmachen und später vielleicht gar nicht mehr gehen können.
B) Der rechte Fuß ist jetzt zwar "besser" als vorher. Aber an den krummen Fuß war er seit fast 12 Jahren gewöhnt. Jetzt muss er erst wieder lernen, mit dem "neuen" Fuss umzugehen.
C) Die "Prothese" am linken Bein ist ein erster Versuch, etwas zu bauen, womit er aufrecht stehen kann, ohne den nach hinten gerichteten Fuß operieren oder amputieren zu müssen. Im Moment sieht es so aus, als sei die Konstruktion mit nur einem Riemen um den sehr kurzen Unterschenkel nicht stabil genug. Er kann damit nur sehr vorsichtig gehen und knickt leicht um.
Ich habe Geld dort gelassen, damit sie vielleicht noch einmal nach Denpasar fahren und die Prothese so verlängern lassen können, dass zwei weitere Riemen um den Oberschenkel zusätzlichen Halt geben.



2002

Kadek's feet
Rechts oben der mit einem
grauen Stumpf bekleideten
Fuß des linken, krummen Beines,
der auf der Halte-Schale
der Halb-Prothese ruht.

Zum Seitenanfang für Vorgeschichte und frühere Operationen

Kadek at the beach in Candi Dasa
Juli 2002 in
Candi Dasa.

Anfang Juni ließ ich Kadek nach Denpasar bringen und besuchte mit ihm den Arzt und den Prothesenmacher. Er erzählte, dass er mit dem künstlichen Bein sehr gut laufen konnte - aber es sei längst verschlissen und kaputt. So ließen wir es reparieren, etwas verlängern (da er gewachsen ist) und einen neuen Schuh für den rechten Fuß anfertigen. Dann brachte ich ihn nach Hause und fuhr selber nach Lombok.

Zum Ende der Ferien und pünktlich zu dem Termin, den der Arzt uns gegeben hatte, holte ich ihn zu Hause ab. Erfreut durfte ich erfahren, dass er das Schuljahr als Zweitbester seiner Klasse abgeschlossen hatte.
15.7.02 ließen wir in Denpasar die verlangten Röntgenaufnahmen machen und fuhren damit zum Orthopäden. Der hielt sein Versprechen, uns schnell zu bedienen und hatte einen Operationstermin für den 18.7. freigehalten - und überraschte uns mit der Äußerst angenehmen Mitteilung, dass wir nicht wie üblich schon zwei Tage vorher ins Krankenhaus müssen, sondern erst am Abend vor der Operation. So verbrachten wir noch knapp zwei Tage Urlaub in Legian.
17.7.02 packten wir mal wieder alles ein, gaben viel im Hotel ab und fuhren ins nördliche Denpasar zu der Klinik, die wir jetzt schon so gut kennen. Das Zimmer hatte ich telefonisch vorbestellt. Und da der Vater nicht hatte mitkommen können und Kadek sich nicht (wie mit dem Vater vereinbart) alleine mit seinem Bruder traut, hatte ich beschlossen, uns ein Doppelzimmer zu mieten, in dem auch ich wohnen kann. Das ist zwar teurer als nur ein Bett, erspart mir aber zugleich die Hotelzimmer-Miete in Legian und mehrmals täglich 30 km Fahren durch den chaotischen Verkehr dieser Provinzhauptstadt.
Wir richteten uns ein, ich baute das Notebook auf und schloss die Kamera und anderes Zubehör an - und die Kinder genossen das eigene Fernsehen und sind so "pflegeleicht" wie noch nie.
18.7.02 begannen wir den Tag mit Warten. Kadek hatte noch frühstücken dürfen und so wussten wir schon, dass die Operation erst am Nachmittag stattfinden würde.
Von ca. 14 Uhr bis 15.50 Uhr war er im Operationssaal. Anschließend ging es ihm überraschend gut; er konnte schon sehr bald essen, hat kein einziges Mal erbrochen und schlief die Nacht durch.

Neueste Röntgenaufnahme von Kadeks linker Hand.

Kadeks linke Hand. (Foto von 1999)

Anhand der Fotos will ich erklären, was gemacht wurde:
Bisher konnte er nur die vordersten Glieder von Daumen und Fingern leicht beugen. Der Rest der Hand ist unbeweglich. Zwar benutzt er den feststehenden Daumen erstaunlich geschickt (kann sich z.B. zusammen mit der anderen Hand die Schuhe selber binden!); aber etwas festhalten kann er nur, indem er den Gegenstand mit dieser Hand gegen seinen Körper oder Oberschenkel drückt. Der Daumen und der mittlere Finger haben nur einen gemeinsamen Mittelhandknochen und sind an dem dreieckigen Knochen, der sie verbindet, fest und unbeweglich verwachsen.
Daher wurde nun der mittlere Finger zusammen mit dem dreieckigen Knochen an seiner Basis entfernt und der Daumen nach innen/vorne gedreht, so dass er fast gerade den vorhandenen Mittelhandknochen verlängert. (Ob daraus ein Gelenk wird, oder ob es fest verwachsen muss, weiß ich noch nicht.)

Kadek am Tag nach der Operation
Weniger als 20 Stunden nach der
Operation und bestens gelaunt.

Der äußere Finger sollte jetzt relativ normal beweglich sein; wie der Daumen sich entwickelt, darauf bin ich selber gespannt. - Auf jeden Fall sollte er, wenn alles abgeheilt ist, die Möglichkeit haben, zwischen diesen beiden Fingern etwas zu greifen und festzuhalten.

Kadek kurz nach der Operation
Unmittelbar nach der Operation;
noch nicht bei Bewusstsein.

- Eine "Amputation" - selbst eines kleinen unnützen Körperteils - ist wohl immer ein schwerwiegender Schritt. Und so hatten wir schon seit zwei Jahren immer wieder darüber gesprochen, was nach Auskunft der Ärzte die einzige Möglichkeit sein würde, dieser Hand eine beschränkte Funktionsfähigkeit zu verschaffen. Im letzten Herbst in Legian fragte ich ihn einmal ganz bewusst beiläufig "und was machen wir nächstes Jahr?" - und war angenehm überrascht mit welcher Begeisterung und welchem Engagement er verkündete "die Hand will ich zuerst machen lassen; das linke Bein traue ich mich noch nicht".

September 2002

Kadek, fast 2 Monate nach der Operation
Knapp zwei Monate
nach der Operation bei
meinem letzten Besuch.

Er kann mit den zwei Fingern nicht greifen
Selbst mit Hilfe der an-
deren Hand kann er die
Finger nicht schließen.
Vom Traum, damit grei-
fen zu können, sind wir
meilenweit entfernt...

Nur so weit kann er den Finger beugen
Nur so weit kann er den
Finger beugen - und den
Daumen fast gar nicht.

Kadeks linke Hand
So sieht die linke
Hand jetzt aus.

Ich war 7 Wochen auf Lombok geblieben, hatte immer wieder in Denpasar bei Kadeks Verwandten angerufen. Man sagte mir "alles in Ordnung"; und schließlich "er ist schon wieder zu Hause in seinem Dorf".

Erst am letzten Wochenende vor meinem Heimflug fuhr ich wieder nach Bali und zu Kadek nach Hause - und war doch ziemlich schockiert:
Statt einer unbeweglichen Hand mit drei Fingern hat er jetzt eine nicht zu gebrauchende Hand mit zwei Fingern. Er kann diese beiden Finger nicht weiter krümmen als vorher, und an ein Greifen zwischen Daumen und Finger ist nicht zu denken. Waren alle seine Schmerzen umsonst? Habe ich all das Geld für diese Operation "in den Sand gesetzt"???

Ich habe Videoaufnahmen gemacht und war schon zweimal in Denpasar in der Praxis des Orthopäden. Doch die ist geschlossen. Kein Schild, keine Information. Ob er Urlaub macht oder auf einer Tagung ist? - So werden wir also wohl erst im nächsten Jahr erfahren, ob an dieser Hand noch etwas zu verbessern ist.
Nachtrag: Am letzten Tag vor meinem Heimflug traf ich dann doch noch einen der Praxishelfer des Arztes und erfuhr, dass der dienstlich in Jakarta sei und frühestens in einem Monat zurückkommen werde ...



2003

Gleich nach meiner Ankunft auf Bali besuchte ich den Orthopäden und zeigte ihm die Videoaufnahme der recht unbeweglichen Hand vom letzten September. - Seine einzige Reaktion war, mir die Namen von zwei speziellen Hand-Chirurgen in Surabaya zu geben.
Ich akzeptiere dies als sein Eingeständnis, dass er an dieser Hand nichts mehr verbessern kann und werde es vorläufig dabei belassen.
 
Bei meinem ersten Besuch bei Kadek, traf ich alles zufriedenstellend an. Die Prothese war mal wieder ziemlich verschlissen und müsste überarbeitet werden. Ersatz für die verschlissenen Schuhe hatte der Vater bereits gekauft; nun ließ ich ihm Geld dort, damit er in den Ferien mit dem Jungen in die Stadt fahren könnte, alles reparieren zu lassen.
 
Als ich nach drei Monaten aus Lombok zurückkam und sie eine Woche vor meinem Heimflug noch einmal besuchte, hatten sie das noch immer nicht getan. Angeblich war der Vater krank, dann Kadek... - aber doch sicher keine drei Monate am Stück. Es ist einfach so, dass der Vater sich nicht so recht traut, in die weit entfernte "Großstadt" Denpasar zu fahren und lieber gewartet hatte, um mich jetzt zu bitten, Kadek mitzunehmen. Der war als Drittbester seiner Klasse in die 4. Klasse versetzt worden; es würde also absolut nichts ausmachen, wenn er mal eine Woche Unterricht verpasst. Und so nahm ich ihn mit und ließ seine Prothesen reparieren und verlängern, um sie an seine wachsende Körpergröße anzupassen.

 


Schule:

Kadek an meinem Computer in meinem billigen "Hotel"zimmer in Legian.
Kadek an meinem Computer in meinem
billigen "Hotel"zimmer in Legian.

Der Junge ist hoch-intelligent! Er schlägt seinen Vater im Schachspiel. Und er, der nie zur Schule gegangen war, las bevor ich ihn einschulen ließ bereits schneller und besser als viele meiner 3.- oder 5.-Klässler! (Er hat beim Bruder mit-gelernt, der - obwohl nur zwei Jahre älter - in der Schule fünf Klassen über Kadek ist.)

Der Vater hatte Kadek im richtigen Alter einschulen wollen. Aber der Direktor der Dorf-Grundschule hatte gemeint, so einen Krüppel könnten sie nicht brauchen. (Schließlich gebe es in der Stadt Spezialschulen für Behinderte ... !)

Ich hätte ihn verklagt! - Doch bis ich Kadek richtig kennengelernt hatte, war der alte Direktor längst versetzt worden. Die neue Direktorin war sehr kooperativ und so geht Kadek seit Sommer 1999 zur Schule.
Vor den Operationen 2001 besprach ich das Programm mit der Direktorin. "Absolut kein Problem! - Der lernt so gut..." Und später stand in seinem Zeugnis (obwohl er an den Versetzungsprüfungen gar nicht teilgenommen hatte), dass er der zweitbeste in der Klasse sei.
Im Juni 2002 hatte er an den Versetzungsprüfungen teilgenommen und war wieder (und diesmal wirklich) Zweitbester geworden.
Leider gibt es hier auch für die Besten nicht die Möglichkeit, eine Klasse zu überspringen. So ist er jetzt als Zwölfjähriger in der 3. Klasse natürlich benachteiligt und viel zu spät dran. - Denn Bauer oder Arbeiter wird er trotz aller Operationen nie werden können. Er hätte früh auf sehr gute Schule gehen müssen, um später in einem Büro eine gute Anstellung zu finden...
(Was aus ihm einmal werden wird, weiß ich auch noch nicht...)

2002 wurde er als Zweitbester (sogar mit einem "Preis": einige Hefte und Bleistifte!) in die 3. Klasse versetzt. - 12 Jahre alt; und die Schule ist nicht bereit, ihn eine Klasse überspringen zu lassen.

2006 schloss er die Grundschule mit einem sehr guten Zeugnis ab; mit über 80% der möglichen Punkte. Nun hätte er die Mittelschule besuchen sollen. Aber die ist recht weit von seinem Dorf entfernt, er hätte zweimal täglich in den chronisch überfüllten Mikrobussen fahren müssen und das traute er sich mit seiner Prothese nicht zu. So wollte er den Schulbesuch aufgeben. Mir war das gar nicht recht, aber ich sah keine andere Möglichkeit und konnte es nicht ändern.

Kadek im Hof der Schule.
Mai 2009.

2007: Im Herbst 2006, als ich schon wieder in Deutschland war, hatte mir ein Verwandter von Kadek eine E-Mail geschickt, dass dieser jetzt in der Nähe von Denpasar in einem Internat sei. Wenn ich wiederkomme, solle ich ihn doch dort besuchen. - Mehr erfuhr ich nicht.
Im Mai 2007 besuchte ich ihn gleich an meinem zweiten Tag: Der Orthopäde, bei dem er seine Prothese reparieren ließ, hatte ihn dort hin vermittelt. Es ist eine staatliche Stiftung für Behinderte; von Vorschule bis Mittelschule. Über 400 Kinder gehen dort zur Schule, aber die meisten wohnen bei ihren Familien oder Verwandten. Etwa 13 Jungen und 7 Mädchen wohnen im angeschlossenen kostenlosen Heim.
Kadek geht jetzt in die 7. Klasse und wird also wohl bis Juni 2009 hier bleiben.

2009: Im Mai besuchte ich ihn in der Schule. Er wird jetzt die Mittelschule abschließen.
Ob und wie es weitergeht (er ist schon 19 Jahre alt!), wissen wir noch nicht.

2010: Ich hatte ihn seit Mai 2009 nicht getroffen und besuchte ihn erst im August 2010 wieder. Er zeigte mir ein gutes Zeugnis, die Abschlussbescheinigung der Mittelschule und jede Menge Zertifikate.
Schule wolle er nicht mehr; Arbeit habe er noch nicht gefunden; zurzeit lebe er zu Hause und helfe dem Vater.

 


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