Dies ist der Jahresbericht, wie ich ihn im September 2003 ausgedruckt per Post verschickte.
Obwohl dieser Bericht recht lang ist (gedruckt waren es 10 Seiten), ist er doch nur eine "kurze" Zusammenfassung. Über 9 Monate Asien-Aufenthalte und inzwischen mehr als 400 Kinder und Jugendliche in meinen Dateien (für 130 zahlen wir jetzt die Schule!) gäbe es noch so viel mehr zu erzählen...
Wenn Du meine immer aktuellen Berichte nicht regelmäßig gelesen hast, oder wenn Du vielleicht ganz neu auf diesen Seiten bist, findest Du im ARCHIV noch viele weitere Details: Einzelne Kinder und ihre medizinische Behandlung; und die Berichte, die ich als "AKTUELLES" von unterwegs alle paar Tage oder Wochen aktualisiere:
Dort findest Du unter anderem Berichte über
von Jürgen Dahm Hallo !!! Schon wieder fast ein Jahr seit meinem letzten Bericht... Doch nun will ich diese chaotische Einleitung beenden und Dir ein bisschen konkreter (Die schwierigste Arbeit beim Schreiben dieses Berichtes ist immer das Kürzen und Streichen: Ich habe nur die interessantesten Abschnitte aus meinem Tagebuch kopiert - und das wären schon an die 20 Seiten! - Erwartet also bitte nicht, dass ich Euch hier alles erzählen kann, was sich so ereignete.) |
Nepal im Herbst 2002:Ärzte hatten gespendet, meine Mutter hatte gesammelt, Freunde hatten Medikamente und Kinderkleidung gebracht oder geschickt - und die Agentur hatte hart mit der Fluggesellschaft verhandelt. So flog ich ohne Aufpreis mit 35 Kg Rucksack und 25 Kg Handgepäck nach Nepal. Schulisch gibt es im Herbst ja meist nicht so viel zu tun. Die Kinder brachten mir ihre Zwischenzeugnisse; ich bestellte einige Eltern ein, andere kamen von sich aus; bei manchen Kindern besuchte ich die Schule. Die meiste Zeit verbrachte ich im Herbst neben der Betreuung der nachmittags immer zahlreicher kommenden Kinder vor allem mit medizinischen Aufgaben. Es dauerte nicht lange, bis ich mal wieder fast jeden Vormittag bei Ärzten oder in Krankenhäusern verbrachte und oft erst im Dauerlauf und mit Verspätung im Hotel ankam, wo ich eigentlich ab 13 Uhr für die Nachmittagskinder öffnen sollte.
• Ein auf der Straße lebender Junge, den ich seit Jahren kenne, der uns aber eher selten besucht, hatte sich beide Hände verbrannt. Von nun an wohnte er für einige Wochen in meinem Zimmer und jeden Abend verbrachte ich bis zu 1½ Stunden damit, seine Verbände zu wechseln, die Wunden zu säubern, Haut wegzuschneiden. - Am 26. November konnte ich berichten: "...schön abgeheilt; ich lege ihm nur noch alle 2-3 Tage einen frischen Verband an, um die neue und noch sehr dünne Haut zu schützen (weil er auf der Straße lebt). Nach genau 33 Tagen, nach 30 elastischen Mullbinden, nach ca. 15 Bögen Sofratulle und mehr als einer halben Tube Bepanthen kann ich ihn als geheilt ansehen - ohne Narben und ohne Kontraktionen." • Im Frühjahr hatte mich (wie so oft) ein Taxifahrer gefragt, was das für Kinder seien, die mich begleiteten. Und es dauerte nicht lange, bis er mir von seinen Sorgen erzählte: Seine 11jährige Tochter hat ein Loch im Herzen und er weiß seit mehr als 10 Jahren, dass sie operiert werden müsste. Später besuchte er mich im Hotel und überzeugte mich dadurch, dass er seit dem sechsten Lebensmonat des Mädchens sämtliche Röntgenbilder und Untersuchungsergebnisse vorlegen konnte. (All zu oft sind bei den armen Familien in den kleinen feuchten Zimmern solche Unterlagen schon nach einem Jahr verrottet oder verloren.)
Mit einer kleinen Notlüge (dass er nicht wisse, ob der bezahlende Tourist jemals wiederkommen werde) gelang es dem Vater, die 8 Monate Warteliste zu überspringen und wir bekamen noch für Anfang Dezember einen Operationstermin.
Alle Sorgen und Ängste will ich hier überspringen und zitiere Euch das Endergebnis aus meinem Tagebuch: "Und dann fragte ich, ob sie irgendwie spüre, dass sich an ihrem Herzen etwas geändert habe: Da lachte die ganze Familie und die Mutter fing an zu erzählen: Früher habe sie kaum 50 Meter langsam gehen können, dann habe sie sich setzen und ausruhen müssen; jetzt sei sie bereits (und das so kurz nach der Operation und mit der großen Narbe) ohne Pause zweimal rund um die große Wiese des Krankenhauses gegangen. Und als ich näher hinschaute und mich erinnerte, konnte ich es auch sehen: Das früher so bleiche Gesicht hat Farbe; die früher grauen oder bläulichen Finger sind gut durchblutet mit frischroten Nagelbetten." • Ich begann mal wieder eine neue Runde Tetanus-Immunisierung. 45 Kinder kamen zum ersten Termin; - aber einige ließen sich "abschrecken" und wollten "den Schmerz" der Spritze nicht noch zweimal ertragen: Obwohl ich den Termin mehrmals wiederholte und sie immer wieder einlud, konnte ich die zweite Spritze nur gut 30 Kindern geben lassen - und bin gespannt, wie viele sich auch noch die Dritte werden geben lassen.
• Eine Zahnmedizin-Studentin arbeitete zusammen mit anderen an einem Forschungsprojekt über den Zustand der Zähne von Kindern in verschiedenen Bevölkerungsschichten.
Nachdem wir unsere Kinder wochenlang mit Plakaten und mündlichen Informationen darauf vorbereitet hatten, kam an einem Samstag im November dieses ärztliche Team auf die Dachterrasse vor meinem Zimmer. Viele Kinder warteten bereits, andere kamen später. Zum Desinfizieren der Instrumente hatten wir aus dem Restaurant einen Kocher ausgeliehen: Zunächst wurden die Kinder anhand langer Fragebögen ausführlich interviewt zu familiärem und sozialem Umfeld, Essens- und Zahnputz-Gewohnheiten und vielem mehr. Dann wurden sie alle untersucht und anschließend teilweise behandelt: Wo nur gesäubert werden musste, oder wo völlig verrottete Zähne oder zu fest sitzende Milchzähne zu ziehen waren, wurde das gleich erledigt. Nach ein paar Wochen bekam ich dann zu den über 60 untersuchten Kindern eine lange Tabelle mit allen Ergebnissen und konnte mit einzelnen für Füllungen oder andere Behandlungen zu unserem regulären Zahnarzt gehen. |
Über Weihnachten verbrachte ich fünf Wochen in Deutschland - und machte den "Fehler", mir einen neuen Notebook-Computer zu kaufen. Es war nötig: Der alte klepperte und schepperte, seine Tastatur hat Löcher (wirklich einzelne durchgeschlissene Tasten!) Die Beschriftung der Tasten war längst nicht mehr zu sehen; und seine Leistung und seine Festplatte genügten mir schon lange nicht mehr. Aber alles in den neuen Computer zu übertragen und alles so zu einzurichten, wie ich gerne damit arbeite, machte so viel Arbeit, dass ich wieder einmal nicht fertig wurde (und keine Briefe schrieb und mich nicht für alle Spenden und Überweisungen bedankte!) Ich war erst halb fertig, als ich schon wieder nach Nepal flog - und ich nahm notgedrungen beide Computer mit, um die noch fehlenden Dateien und Einstellungen erst in Nepal zu übertragen. Dies stellte sich nachträglich als "genial" heraus: Als ich endlich fertig war und den alten Computer eigentlich nicht mehr brauchte, überlegte ich, wozu ich ihn nützen könnte. So begann ich, unseren Kindern den Umgang damit beizubringen: Zunächst durften sie Bilder malen - um den Umgang mit der Maus und die Grundlagen des Dateisystems (Öffnen, Speichern, usw.) zu erlernen. Dann kaufte ich eine externe englisch-nepalische Tastatur und besorgte ein Programm, welches das Schreiben im Zehn-Finger-System trainiert. Ein geniales kleines Programm, das sich zu jedem Kind merkt, welche Buchstaben er oder sie schon beherrscht, wie schnell er schreibt, wie viele Fehler sie macht; das dem Jugendlichen langsam oder schneller weitere Buchstaben beibringt - und mir zu jedem die statistische Auswertung zeigt.
Ich habe so viele Fotos und Videos der Kinder auf der Festplatte liegen - und hatte nie genug Zeit, sie an dem Computer, den ich täglich benutze, den verschiedenen Gruppen von Kindern immer wieder zu zeigen. Das erlaubte ich den Kindern jetzt gelegentlich (z.B. Samstag Nachmittag oder kurz vor dem Abendessen); und Videospiele erlaube ich nur abends. Doch zu meiner freudigen Überraschung wurde danach gar nicht so oft gefragt: Alle Kinder sind begeistert und äußerst ehrgeizig bemüht, das Schreiben zu erlernen und wetteifern darum, wer schon die meisten Buchstaben beherrscht, wer am schnellsten schreibt oder wer die wenigsten Fehler macht. |
Nepal im Frühjahr 2003:Meine fünf Wochen in Deutschland waren "gar nichts" für die Kinder in Nepal: Sie hatten sich das Datum meiner Rückkehr gemerkt und kamen vom ersten Tag an in Scharen. Schon nach einer Woche gab es so viele Neuigkeiten und ich schrieb ins Internet: "Es macht viel Spaß, viel Arbeit, und manchmal auch einige Sorgen: Die Mutter von vier unserer Kinder ist gestorben und die beiden Jüngsten wurden in ihr Heimatdorf geschickt - obwohl sie doch eigentlich hier zur Schule gehen sollten. Ein Neunjähriger (und auch er sollte zur Schule gehen) wurde mal wieder von seinem Vater rausgeschmissen und lebt vorübergehend bei mir. Einen schätzungsweise vierzehnjährigen Taubstummen habe ich fest bei mir aufgenommen und versuche, für ihn eine Lösung zu finden ... Ein fünfzehnjähriger Siebtklässler musste mal wieder aus seinem Heimatdorf fliehen, weil die Maoisten alle Jungen in seinem Alter "verhafteten" und mitnahmen; und nun überlegen wir, ob wir ihn bei seinem Bruder, in einem Internat, oder bei seiner Schwester in einer anderen Stadt unterbringen können..."
Es dauerte nicht lange und wir erreichten zum ersten Mal die neue Rekordzahl von mehr als 80 Mittagessen. Manche dieser Kinder kommen nur kurz, um sich ihre Essensgutscheine abzuholen und eventuelle Wunden versorgen zu lassen. Aber viele bleiben auch für einige Zeit zum Spielen, Malen, Duschen - und manche bleiben den ganzen Nachmittag. So waren mein Zimmer und die Dachterrasse meistens gut gefüllt. Vormittags ging ich wieder häufig ins Krankenhaus. Neben "Routine" und "Kleinkram" vor allem für drei Patienten: • Saugat, dessen alte Verbrennungen wir schon früher operieren ließen, wurden zwei weitere (leichte) Kontraktionen gelöst. Ich kaufe ihm weiterhin die teure Salbe und die Mutter massiert ihn täglich, so dass wir hoffen, dass nun keine weiteren Operationen nötig sind.
• Die Mutter von zwei unserer noch recht neuen Schüler war vor längerer Zeit in die Stadt gekommen, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte. Nun hatte der Mann sie wiedergefunden, hatte sich gegen den Willen der Frau und der Söhne in deren Zimmer einquartiert - und hatte betrunken die am Kocher arbeitende Mutter mit Petroleum übergossen. Den Vater wollten wir gleich verhaften lassen, aber die Ärzte lehnten dies ab, da die Frau sonst keine Verwandten hat und schließlich jemand im Krankenhaus bei ihr bleiben muss, um sie zu pflegen. Das tat der Mann ganz gut - aber sie haben kein Geld - und keine Ahnung. So war ich für die folgenden fast zwei Monate bis zu meiner Abreise fast täglich (und anfangs oft zweimal täglich) im Krankenhaus; und die beiden Kinder (9 und 4 Jahre) wohnten die ganze Zeit bei mir. Einer unserer Jugendlichen brachte sie täglich zur Schule; ein anderer holte sie wieder ab und brachte sie zurück ins Hotel. Da unsere Gelder eigentlich für Kinder und Jugendliche sein sollen, hatte ich viel zu verhandeln, so dass auch das Krankenhaus half - und natürlich die Apotheke der Deutsch-nepalesischen Hilfsgemeinschaft. Aber einiges musste ich (vor allem bei den Operationen) denn doch für die Mutter bezahlen. Ich brachte es einfach nicht fertig, "nein" zu sagen. => Bei der anderen Apotheke, in der ich seit Jahren fast alle Medikamente kaufe (und schon lange Mengenrabatt bekomme), richtete ich ein "Konto" ein: So kann der Ehemann dieser Frau, Saugats Mutter, oder ein Jugendlicher, der für mich bei einem Patienten bleibt, dort anschreiben lassen und ich rechne alle paar Tage ab und bezahle. So brauche ich den Leuten kein Geld mehr mitzugeben oder dortzulassen und verhindere, dass sie anderes als nur die vom Arzt verschriebenen Sachen kaufen.
• Als Saugat operiert worden war, lag im Nachbarbett ein Junge, der in einem weit entfernten Dorf in einem Fleischwolf zwei Finger verloren hatte. Da die Wunde nicht heilte, war er für eine Hauttransplantation in die Stadt geschickt worden. Am Tag vor der geplanten Operation war der ihn begleitenden Onkel verschwunden.
Die Operation verlief gut; einige unserer Jugendlichen wechselten sich ab und blieben die ersten Tage bei ihm (auch über Nacht). Und ich besuchte auch ihn ein bis zwei Mal täglich. - Und dann war plötzlich der Onkel wieder dagewesen: Der Junge erzählte mir, dass er nicht lange geblieben sei und kaum geredet habe; andere Patienten hatten ihn gesehen; aber er war sehr bemüht, weder mich noch den Arzt oder die Schwestern zu treffen. Ich zitiere mal wieder aus meinem Tagebuch: Zehn Tage nach der Operation wurden die Nähte gezogen - und am nächsten Tag war der Junge verschwunden. Jemand hatte den Onkel gesehen und der hatte ihn wohl mitgenommen - in der irrigen Annahme, dass die Hand nun von selber heile; und zur großen Sorge der Ärzte: Denn die Hand ist noch so "unfertig", dass er nach seiner Entlassung nicht zweimal pro Woche in die Ambulanz, sondern jeden zweiten Tag zum Verbandwechsel auf die Station kommen sollte - Wir haben ihn nicht wiedergesehen. • Den Taubstummen ließ ich untersuchen: Zunächst mussten wir drei Wochen lang tropfen, bis das Wachs in den Ohren so weit aufgeweicht war, dass es entfernt werden konnte. Das anschließende Audiogramm zeigte, dass er auf dem einen Ohr ganz wenig hören kann. Bei einem Test mit einem Hörgerät reagierte er auf Geräusche und konnte einfache Worte nachsprechen. Aber dann kaufte ich das Gerät (zunächst) doch nicht: Denn inzwischen hatten wir mit der einzigen Taubstummenschule Nepals verhandelt und erreicht, dass er (obwohl er eigentlich schon zu alt ist) dort aufgenommen wird. Dort soll er aber kein Hörgerät besitzen, damit er zunächst die Taubstummensprache erlernt. (Seit Ende März zahlen wir dieses Internat für ihn.) => Ich hatte noch viele andere Patienten; aber ich kann Dir nicht von allen erzählen. Zusammenfassend kann ich Dir sagen, dass meine Medizinabrechnung aus diesen 10 Wochen Nepal 435 Zeilen lang ist. Die Endsumme entspricht mehr als 20 Monatsgehältern eines Hilfsarbeiters. Viele Sorgen machten einige der Straßenkinder, die immer noch Leim schnüffeln - und diesen leider auch noch überwiegend durch Diebstähle finanzieren. Endlose Diskussionen, gelegentliche Strafen. Viele Sorgen, zu denen ich Euch zweimal aus meinem Tagebuch zitieren möchte: (An einem anderen Abend, nachdem ich spät aus dem Krankenhaus gekommen war:) (Es handelt sich hier um Kinder zwischen 11 und 13 Jahren!)
Als sie gegessen hatten, waren die meisten so weit klar, dass wir zumindest darüber reden konnten; aber zwei gingen auch gleich nach dem Essen in die nächste Baustelle und zogen sich die Leim-Reste rein, die sie noch in einer Tüte hatten. Einige schworen mal wieder (zum wievielten Mal?), es jetzt aufzugeben; andere sagten ganz klar, dass sie sich das nicht abgewöhnen können.
Und dann erzählen sie wieder ganz begeistert von ihren Rausch-Erlebnissen - und sie scheinen die tatsächlich bis zu einem gewissen Grad steuern und koordinieren zu können (?): Wenn der eine aus seinen bloßen Fingern Feuerkugeln austreten sieht und diese auf die anderen abfeuert, dann können das auch alle anderen und sie liefern sich damit ein Gefecht. Und den kleinen Trailer zum Film "Die unendliche Geschichte", den sie neulich auf einer meiner CDs sahen, haben sie auch nacherlebt und sind alle gemeinsam auf so einem wuscheligen Drachen sitzend durch die Lüfte gerast. Irgendwann konnte ich mich nicht mehr bewegen: Schon seit Weihnachten hatte ich Schmerzen an der Bandscheibe, nahm täglich Medikamente. Doch es wurde langsam schlimmer und irgendwann waren die Schmerzen nicht mehr auszuhalten. Auf einen Stock gestützt ging ich mit Schritten von der halben Länge meines Fußes bis zum Arzt. Mit dessen Schmerztabletten und einigen traditionellen Massagen (mit HirseÖl, in dem vorher Knoblauch angebraten wurde) ging es mir bald besser. Auszug aus meinen Berichten im Internet:: Schnell näherten wir uns den Versetzungsprüfungen. Und die ganze Zeit beobachtete ich die "Nachmittagskinder" (und unter ihnen vor allem die Neueren), um herauszufinden, bei welchen es nötig (und sinnvoll) sein könnte, ihnen die Schule zu bezahlen. Zugleich kamen von außerhalb immer mehr Hilfegesuche: Mütter, die mich mit den Kindern in der Stadt gesehen und Erkundigungen eingezogen hatten; Klassenkameraden unserer Schüler, denen die Eltern gesagt hatten, dass sie die Schule in Zukunft nicht mehr bezahlen könnten; entfernte Verwandte des Restaurantchefs, bei dem wir täglich zu Abend essen, die vor den Maoisten aus ihren Dörfern geflohen waren und nun mittellos in der Stadt saßen... Und zwei Notfälle, die ihre Schule schon so lange nicht bezahlt hatten, dass man ihnen jetzt androhte, ihnen die Teilnahme an den Versetzungsprüfungen nicht zu erlauben. Lehrer eingestellt! Das wäre mir nicht möglich gewesen ohne eine ganz wichtige Neuerung, die ich in diesem Frühjahr einführen konnte:
Er überzeugte mich eigentlich schon in den ersten Tagen und Wochen: Denn was ich gesucht hatte, war jemand, der selbständig arbeitet, von sich aus die Initiative ergreift und nicht zu einzelnen Aufgaben geschickt werden muss. Und genau das tat er: Die ersten zwei Tage arbeiteten wir gemeinsam vor meinem Computer; ich hatte Listen ausgedruckt und stellte ihm alle Schüler/innen theoretisch und anhand der Passbilder vor. Meine Idee war, ein Zimmer anzumieten, in dem er die Kinder auch während meiner Abwesenheit betreuen würde. Er sollte dort die Schreibwarenvorräte lagern und an die Kinder ausgeben; sollte den Kindern die Möglichkeit zum täglichen Besuch und zur Hausaufgabenhilfe geben. Und schließlich wollte ich sein Gehalt zum Teil finanzieren durch all die Schüler/innen (etwa ein Drittel), die schon jetzt Nachhilfe bekommen und für die ich dann nicht mehr verschiedene Lehrer/innen überall in der Stadt bezahlen müsste, sonder die den Unterricht zentral bei ihm und in unserem Zimmer bekommen würden. Meine Idee, dass der Lehrer mir zu mehr Freizeit verhelfen würde, griff zunächst nicht: Ihn einzuarbeiten, vieles Doppelt und alles mit ihm zusammen zu machen, ließ mir in der Anfangsphase weniger Zeit als je zuvor. Und er half mir auch vom ersten Tag an bei Problemfällen: So hatte zum Beispiel Su.'s Mutter ihren Sohn rausgeschmissen und er wohnte seit 8 Tagen bei uns, ging von uns aus zur Schule; und bat, in ein Heim aufgenommen zu werden. Nach drei Besuchen des Lehrers kam die Mutter zu mir ins Hotel und war nun bereit, ihren Sohn wieder aufzunehmen. (Wir unterhielten uns noch über alles Mögliche, die Schulgebühren, die jüngeren Geschwister, den saufenden und prügelnden Ehemann...) Zusammenfassend möchte ich Dir hier das schreiben, was ich auch als Zusammenfassung dieses Frühjahrs auf die "AKTUELLES"-Seite geschrieben hatte:
Unser kleines Projekt wird immer bekannter; immer öfter kommen Kinder, Jugendliche oder Eltern (vor allem Mütter), die auf langen Umwegen oder nur als Gerücht gehört haben, dass es da einen Touristen gibt, der Kindern die Schule bezahlt. ... Während ich dies schrieb, bekam ich eine Mail von einem Berliner Freund, der unser Zimmer in Nepal besuchte: "Zufaellig habe ich einen der Weekly Reports gesehen, da gibt es ja enorme Bueroarbeit!" - Der Lehrer scheint seine Sache gut zu machen, genau abzurechnen und ausführlich zu berichten. (Und ich muss das nach meiner Rückkehr alles auswerten und überprüfen!) Während des Sommers (den ich in Indonesien verbrachte) hat sich die Einstellung des Lehrers bestens bewährt: Alle 2-3 Wochen bekomme ich ausführliche Berichte, die Zwischenzeugnisse aller Kinder. Die Kinder werden auch medizinisch betreut (und ich werde informiert bzw. um Rat oder Erlaubnis gefragt); und als neulich ein Jugendlicher sich mit seiner Familie verkrachte und ein eigenes Zimmer mieten und die Schule wechseln wollte, konnte ich per e-mail aktiv an der Lösung des Problems mitarbeiten. |
Indonesien im Sommer 2003:
Im April verbrachte ich genau einen Monat in Deutschland und flog am 1. Mai nach Bali. Gleich in den ersten Tagen zeigte ich dem Chirurgen das kleine Video von Kadeks Hand, die er im vergangenen Jahr operiert hatte, die aber längst nicht so beweglich geworden war, wie wir erhofft hatten. - Er bedauerte - und gab mir die Namen von zwei auf Hand-Chirurgie spezialisierten Ärzten in Surabaya.
Es tat mir zwar für den Jungen leid, dass wir an seinem Zustand nun also vorläufig nichts mehr verbessern können (wobei es ihm viel besser geht als früher und er mit der jetzigen Situation sehr zufrieden ist). Für mich persönlich jedoch war dies fast eine "gute Nachricht": Ich war völlig ohne Planung nach Indonesien gefahren, weil ich nicht wusste, ob ich wieder einmal mitten in meinem Lombok-Aufenthalt alles packen und für 2-3 Wochen für eine weitere Operation nach Bali fahren müsste. Und nun durfte ich mich also auf einen ununterbrochenen Lombok-Aufenthalt von etwa drei Monaten freuen. (Insgesamt war ich 119 Tage in Indonesien.) Zunächst fuhr ich nach Candi Dasa im Osten Balis - und blieb dort eine ganze Woche. Ich liebe diesen ruhigen Ort, den Garten der kleinen Pension, in dem ich vor meiner Bambushütte auf der Veranda sitze. Ich räumte meinen Computer auf, bereitete die Abrechnungen für diesen Sommer vor, las viel, installierte neue Programme und Spiele - und ließ mich von dem alten Dorfheiler täglich fast eine Stunde massieren. Dazwischen besuchte ich die inzwischen 6 Schüler/innen in der Umgebung je zwei Mal, rechnete die im Herbst deponierten Gelder ab, ließ mir die Zwischenzeugnisse vom Januar und andere Unterlagen zeigen. Und dann begannen die Planungen und Kalkulationen, weil ich erst im August und lange nach den Versetzungszeugnissen und den schulischen Neuanmeldungen wiederkommen würde und nun also recht viel Geld bei ihnen lassen musste.
Groß war die Begeisterung der Kinder auf Lombok, als ich ihnen gleich nach meiner Ankunft verkünden konnte, dass ich volle 90 Tage ohne Unterbrechung bleiben würde. Vom ersten Tag an wurde mein Zimmer gut besucht, - und die Kinder kamen, als wenn ich nur drei Tage weg gewesen wäre (und nicht 9 Monate): "Wo ist das Mikado?" - "Wo sind die Buntstifte?" - Sie schienen gar nicht zu realisieren, dass ich diese Sachen bei Freunden deponiert hatte und erst abholen und auspacken musste. Anders als in Nepal arbeiten die Schulen hier im Schichtdienst; und so war in meinem Zimmer den ganzen Tag Betrieb: Um 8 Uhr weckten mich die Kinder, die nachmittags zur Schule gehen, bekamen ihr Frühstück, gingen dann oft an den Strand, dann unter die Dusche, dann an die Spielsachen und den Computer. Vor 12 Uhr gingen sie nach Hause und dann zur Schule, und schon gegen 13 Uhr kamen die anderen aus der Schule und kauften das Mittagessen; eingepackt in Bananenblätter, das wir im Garten des Hotels essen. Nach 16 Uhr kamen die Nachmittags-Schüler für ein verspätetes Mittagessen; kurz nach 18 Uhr schickte ich alle nach Hause zum Abendgebet und zum Koranunterricht. Wenn von dort alle zurückgekommen waren, gingen wir zusammen zum Abendessen in ein nahes Restaurant. Im ersten Monat gab es nicht viel zu tun. Kein einziges Kind war krank und die Versetzungsprüfungen waren dieses Jahr etwas später als sonst. So gab ich ein bisschen Englisch-Nachhilfe und machte Mathe-Training, half bei den Hausaufgaben und kontrollierte, was sie selbständig gearbeitet hatten. Aber vor allem genoss ich die Zeit, war faul, las viel und spielte sehr viel am Computer. (Ich hatte eine "virtuelle Modelleisenbahn", die mich an das Hobby meiner Kindheit erinnerte und absolut faszinierte - und mit der ich viel zu viel Zeit verbrachte.) Bei den Kindern wechselten die "saisonbedingten" Hobbys vom Schwimmen über das Murmelspiel zum Drachensteigen. Aufgrund Eurer nicht nachlassenden, sondern zunehmenden Hilfe, hatte ich genug Geld, um auch in Indonesien weitere Schüler und Schülerinnen zu fördern. So bat ich alle unsere regelmäßigen Besucher, mit denjenigen ihrer Mitschülern zu sprechen, die gute Noten aber ein zu armes Elternhaus haben. (Da gibt es Kinder, die mit zwei Heften in der Hand zur Schule gehen, die weder Bücher noch eine Tasche besitzen.) Und fast täglich brachte jemand ein neues Kind mit und so wurde es auch tagsüber in meinem Zimmer immer voller. Insgesamt bin ich zufrieden: Nur zwei der kleineren Kinder wurden nicht versetzt. Aber zwei Sechstklässler haben jeweils als Klassenbeste die Grundschule abgeschlossen, so dass ich ihnen besonders gerne die Mittelschule bezahle. Dann kamen die Prüfungen und für eine Woche war es bei mir relativ ruhig, weil viele Kinder zu Hause intensiv lernten.
Für den dritten Tag (Sonntag, den 29. Juni) hatte ich alle Kinder zu einer "Zeugniskonferenz" in den Garten unseres Hotels eingeladen. Über 40 Kinder und Jugendliche kamen und ich verlas die Ergebnisse von allen, lobte und kritisierte, drohte Strafen an - und konnte 10 Kindern erklären, dass ich ab sofort für ihren Schulbesuch zahlen werde. Anzahl der Später kamen noch einige weitere dazu, vor allem Mittel- und Oberschülerinnen; und die Kinder aus den weiter entfernten Dörfern und aus Bali: So schloss ich die Saison mit insgesamt 42 Schüler/ innen ab, für die wir jetzt zahlen. Daneben half ich den meisten der regelmäßig nachmittags kommenden Kinder, für die ich bisher noch nicht voll bezahle, indem ich für sie die Schulgebühren zahlte und sie (wie immer einmal im Jahr) mit einer Grundausstattung an Schreibwaren versorgte. So war der Juli wieder die arbeitsreichste Zeit meines Indonesien-Aufenthaltes. Alle zwei Tage ging ich zum Geldautomaten, weil die Brieftasche schon wieder leer war. Innerhalb einer Woche kaufte ich für fast 40 Kinder und Jugendliche Schuluniformen, Taschen und Schuhe. (Einmal mieteten wir einen Kleinbus und ich fuhr mit 21 Kindern auf einmal in die Stadt.) Am Wochenende vor dem Beginn des neuen Schuljahres verteilte ich fast 900 Schreibhefte und viele Dutzend Kugelschreiber, Bleistifte, Radierer und Lineale... Kurz vor meiner Abreise zahlte ich innerhalb einer Woche Schulgebühren im Gegenwert von fünf Monatsgehältern* eines Polizisten - und ließ den Gegenwert von 11 Monatsgehältern* auf Mardins Sparbuch, von dem er alle Kinder während der kommenden neun Monate versorgen wird.
(* Ich hoffe, dass Dir diese Angabe mehr sagt als ein Rupien- oder Euro-Betrag, von dem Du weder den Wechselkurs noch die Kaufkraft kennst.)
Medizinisch hatte ich während des ganzen Sommers so wenig zu tun wie noch selten: Neben "dem üblichen Kleinkram" (Läuse, Krätze, Schnitt- und Schürfwunden, usw.) nur zwei Zahnfüllungen, zweimal Hautpilz; und einen Jungen, der von einem Baum fiel und sich beide Arme brach. (Die wenigen Male, die ich ins Krankenhaus fuhr, fragten mich sowohl die Parkwächter als auch die Imbissstände ganz überrascht, was denn los sei und ob ich gar nicht mehr zu ihnen komme.) Eine interessante Entwicklung will ich Euch noch berichten: (Zitiert aus meinen Berichten im Internet:)
Eine ähnliche Entwicklung fand beim Abendessen statt: Bisher hinderten viele Faktoren einzelne Kinder, mit uns zu Abend zu essen; die wichtigsten: Dass sie zu abgelegen wohnen und sich nach dem Essen im Dunkeln nicht auf den Heimweg trauen. Und die Tatsache, dass der Warung, in dem wir essen, einer balinesischen (hinduistischen) Familie gehört; und obwohl die Frau seit 20 Jahren davon lebt, auf Lombok und für Moslems zu kochen, glaubten viele Kinder (bzw. deren Eltern oder erwachsene Geschwister) nicht, dass es hier wirklich für Moslems geeignetes Essen gibt. Zuletzt auf Bali besuchte ich noch einmal die dortigen Familien. Von den sechs Schüler/innen in diesen drei Familien geht nur einer auf die (billige) Grundschule. Und so hinterließ ich auch hier (nachdem ich alle Gelder vom Mai genau abgerechnet hatte) noch einmal 2,6 Polizisten-Monatsgehälter und hoffe, dass wir gut genug kalkuliert haben und sie damit bis zum Mai nächsten Jahres auskommen. Kadek nahm ich mit nach Legian, weil sein Vater immer noch nicht mit ihm in die Stadt gefahren war, um seine Prothesen reparieren und verlängern zu lassen. Das erledigten wir dann in meinen letzten Tagen, während ich bereits packte. Erst am Abend vor meinem Heimflug bekamen wir sie; ich brachte ihn zu seinen Verwandten in der Stadt, die ihn wieder in sein Heimatdorf bringen würden. Am 27. August flog ich von Bali über Kuala Lumpur nach Frankfurt. |
OrganisatorischesAuch dieses Jahr endet mein Bericht mit "Organisatorischem" und ein bisschen "Werbung": Geplante Reisen Die jetzt im Oktober stattfindende Tibetreise ist ausgebucht. Und für den Oktober 2004 plane ich eine Reise für eine geschlossenen Gruppe. Jederzeit bereite ich gerne Sonderreisen für kleine Gruppen oder auch Einzelpersonen oder Paare vor. Wenn Ihr also in Eurem Freundeskreis genug Interessenten findet - oder wenn Ihr einfach privat nach Nepal oder Indonesien fahren wollt, dann meldet Euch bitte. E-Mail / Homepage / unsere Kinder im Internet Hier standen in der gedruckten Version vor allem Informationen für alle, die meine Homepage noch nicht besucht haben oder deren e-Mail-Adresse ich nicht kenne. Kontonummer Wenn Du helfen kannst und willst, daß ich so weiterarbeiten kann wie bisher (oder noch mehr): Dann notiere Dir bitte meine Kontonummer: Konto Nummer 34095671 (Jürgen Dahm) Danke !!! Und wieder einmal muß ich erklären: Ich freue mich auch über Post (mail, usw. ...), wenn kein Scheck beiliegt ! Damit sage ich wieder einmal Tschüß! |
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